Eine große Motivation, Brettspiele zu spielen, ist das Abtauchen in fremde Welten. Nicht immer geschieht dies so wortwörtlich wie in OZEANE, bei dem wir in den Tiefen des Meeres neue Spezies gründen. Ganz nach Darwin überleben nur die fittesten in der Fortsetzung der Spielidee von EVOLUTION.

Durch das Ausspielen von Handkarten definieren wir, ob wir eine neue Fischkolonie entdecken oder eine bestehende Art um neue Eigenschaften erweitern. Lassen wir unseren Jäger noch gefährlicher werden und lassen ihm Tentakeln wachsen oder statten wir ihn mit einer Tarnfähigkeit aus, damit er selbst nicht mehr angegriffen werden kann? Je nach Situation am Tisch gilt es, clevere Symbiosen zu finden. Neue Arten nur mit dem Zweck zu gründen, als Futterquelle für hungrige Haie zu dienen, ist eine ebenso valide Vorgehensweise wie eine möglichst starke und robuste Kolonie zu etablieren, die sich friedlich von Algen ernährt. 

Foto von zwei Fischarten mit sichtbaren Angriffs-Eigenschaften
Pro Runde lassen wir eine Art auf Jagd gehen – die Opfer dürfen auch die Fischkolonien der Mitspielenden sein.

Punkte erhalten wir nämlich nicht primär durch das Fressen oder Attackieren, sondern durch das “Altern” unserer Schwärme. Je flexibler sich unsere Arten der sich ständig verändernden Umgebung anpassen und dadurch länger Überleben, desto mehr Siegpunkte können wir uns durch den Alterungsprozess als Belohnung nehmen. Es gewinnen also nicht zwingend die gefräßigsten Mutationen, sondern die ausdauerndsten. Das Evolutions-Thema ist schön umgesetzt und das Experimentieren und Finden der neuen Arten ist reizvoll.

Viel Interaktion, aber monotone Anfangsphase

Zu Beginn des Spiels stehen nur insgesamt zwölf Eigenschaften zur Verfügung. In der Theorie lassen sich damit bereits Hunderte von einzigartigen Fischen erschaffen – praktisch kristallisiert sich jedoch schnell heraus, welche Kombinationen am effektivsten sind. Ein Abweichen von diesen bewährten Symbiosen führt selten bis gar nicht zum Sieg.

Für Abwechslung sorgen zufällige Szenariokarten, die das Spiel im Laufe der Partie durch Ereignisse, wie beispielsweise einem Asteroideneinschlag oder einen Überfluss an Nahrung, stark verändern. Wer seine Fischpopulation am besten darauf abstimmt und den bevorstehenden Wandel des Ökosystems strategisch einplant, wird deutlich mehr Siegpunkte einfahren. Leider treten diese Veränderungen erst fix im zweiten und letzten Drittel des Spiels in Aktion. Dies führt dazu, dass die ersten 20-30 Minuten recht lustlos “runtergespielt” werden müssen, bevor das eigentliche Spiel wirklich losgeht. 

Die hohe Interaktion am Tisch (“Wenn dein Fisch diesen hier angreift, bekommt mein Schmarotzer vorher zwei Nahrung!”) ist grundsätzlich zu begrüßen, sorgt aber für einen von vielen Nachfragen unterbrochenen und kleinteiligen Spielfluss.

Die Acryl-Fischlein sind Teil der Luxus-Edition. Im Grundspiel bestehen diese aus Pappe, sind aber nicht weniger hübsch anzusehen. Am Spielgefühl ändert sich dadurch nichts.

Hohe Abwechslung durch Szenario- und Tiefenkarten

Das Highlight des Spiels sind klar die Tiefenkarten. Dieses Modul (das Grundspiel kann auch ohne gespielt werden) besteht aus 89 einzigartigen Eigenschaften, die deutlich stärker sind als die zwölf Standardkarten. Eine großen Bandbreite an Künstler_innen hat jede von ihnen mit individuellen und detailverliebten Motiven illustriert. Leider kommen die Karten erst sehr spät ins Spiel. Erst wenn eine bestimmte Menge an Punkten aus dem Ozeanbecken gefischt wurde, dürfen pro Runde zwei statt nur einer Handkarte ausgespielt werden und die Fische altern daraufhin doppelt so schnell. Diese Regel beschleunigt das Spielgeschehen so stark, dass es je nach Verlauf sogar passieren kann, dass das Ende nur noch wenige Runden entfernt ist. Enttäuschend, wenn alle Mitspielenden auf die starken und vielfältigen Karten hinfiebern, dann aber nur eine oder zwei davon überhaupt ausspielen können. Da Tiefenkarten zusätzlich mit Siegpunkten bezahlt werden müssen, sind diese oft nicht lukrativ genug, um überhaupt noch den erhofften Aufschwung zu bringen.

Fazit

Ozeane ist ein wunderschöner und thematisch stimmiger Engine-Builder mit einer hohen Interaktion, der nicht die richtige Balance seiner reizvollen Elemente findet. In der Theorie bieten die Szenario- und Tiefenkarten eine schier endlose Wiederspielbarkeit. Bis man alle erweiterten Fähigkeiten gesehen hat vergehen dutzende Partien. Diese Vielfalt wird jedoch durch die zähe und monotone Anfangsphase torpediert, die im Verhältnis zu den wirklich spannenden Aspekten des Spiels zu lange andauert. Die packenden Entscheidungen einer Partie begrenzen sich auf sehr wenige Momente kurz vor Schluss und sind in der Summe nicht die Zeit wert, die dafür investiert werden soll. Ozeane ist kein schlechtes Spiel, aber kann seinem Vorgänger Evolution schlicht nicht das Wasser reichen.

3/5

Ozeane von zwei bis vier Spieler_innen (sechs mit Erweiterung) von Nick Bentley, Dominic Crapuchettes, Ben Goldman und Brian O’Neill, erschienen bei Northstar Games, in Deutschland beim Schwerkraft Verlag.