Goethe wird nachgesagt, folgenden Satz als Entschuldigung in einem Brief als Einleitung geschrieben zu haben: „Bitte entschuldigen Sie den langen Brief, ich hatte keine Zeit, einen kurzen zu schreiben“. Und es stimmt: Es fällt nicht sonderlich schwer, lang und breit mit allen Details über ein Spiel zu sprechen. Deutlich herausfordernder ist es, sich in wenigen Sätzen dem Kern des Erlebten zu nähern. Als Leser möchte auch ich eher kurze und prägnante Texte lesen, um einen schnellen Überblick und eine knappe Einschätzung zu erhalten. Diese Fokussierung auf die Essenz des Spieles ist die Kernidee hinter diesem neuen Format, das den schmissigen Namen »300« trägt. Warum 300? Das ist ungefähr die Anzahl an Spielen, die pro Jahr auf meinem Spieletisch landen und aus denen ich versuche, die besten und interessantesten für euch zu filtern – mit nur 300 Wörtern. 300 in 300. Los geht’s!

Einleitend ein Geständnis: Um Stichspiele habe ich stets einen Bogen gemacht. Warum? Ich möchte glauben, dass ich in meiner Kindheit nicht damit sozialisiert wurde. Die traurige Wahrheit ist, dass ich mich als Stich-Partner so gut eigne wie ein umgekippter Barhocker.

Doch das kooperative »Die Crew« hat mich therapiert. Als Teil einer fünfköpfigen Besatzung reisen wir zum neunten Planeten und begegnen dabei Alltagsproblemen einer Raummission. Defekte Triebwerke oder Sauerstoffmangel dienen als thematische Aufhänger für „Aufträge“, die wir erfüllen. Dazu müssen zufällig ermittelte Zahlenwerte von 1-9 in vier Farben von bestimmten Crew-Mitgliedern „erstochen“ werden. Anders als in klassischen Genrevertreten ist es nicht wichtig, viele Stiche zu gewinnen, sondern nur bestimmte und in einer vorgegebenen Reihenfolge.

Schnell wird klar: Die Crew ist eigentlich gar kein „echtes“ Stichspiel, sondern eine gemeinschaftliche Rätselaufgabe mit den Mechaniken von Skat & Co. Über den Verlauf von insgesamt 50 Missionen arbeiten wir uns so in jeweils rund zehnminütigen Partien immer weiter Richtung Pluto vor. Kleine Storybrocken versuchen die Knobelaufgaben thematisch einzubinden, doch das überzeugt nicht. Wir schauen nur auf die Symbole und sind voll in der Mechanik: Wie viele Stiche müssen wann und von wem erreicht werden? Wie stellen wir es an, dass meine Nebensitzerin die rote Vier erhält, wenn besagte Karte auf meiner Hand weilt?

Erschwerend kommt hinzu, dass wir eingeschränkte Kommunikationsmittel an Bord haben. Einmal pro Partie dürfen alle eine der geheimgehaltenen Handkarten auslegen. Mit einem Chip geben wir einen von drei Zuständen bekannt: Ist dies unsere höchste, die niedrigste oder die einzigste Zahlenkarte dieser Farbe? Auch das bewusste Nicht-Kommunizieren und Ausspielen von bestimmten Farben müssen richtig gedeutet werden und machen das Spiel reizvoll.

Wichtiger als die Geschichte zu transportieren ist die Leistung der Kampagne, Neulinge und Stichprofis mit seinem behutsam ansteigenden Schwierigkeitsgrad gleichermaßen abzuholen. Die Crew ist ein Ausnahmespiel und mein erstes Highlight des Jahrgangs.

 

5/5

Die Crew
Autor: Thomas Sing
für 3-5 Spieler*innen
Dauer: ca. 10 Min pro Partie
Illustrationen von:Marco Armbruster
Erschienen bei: Kosmos

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